
Kontinent Kafka. Berlin: Vorwerk 8, 2006 (ISBN: 3-930916-79-7).
Man blickt erschrocken auf »und sieht, dass man vom Kontinent des Menschen schon weit entfernt ist« schrieb Walter Benjamin zum zehnjährigen Todestag von Franz Kafka 1934. In Kafkas Erzählungen ist die Grenze zwischen Mensch und Tier, zwischen Natur und Kulturganz unbestimmt.
Zum Grenzfall wird das individuelle und das soziale Menschsein, ebenso der Übergang vom Organischen ins Technische. Nicht nur sind Kafkas Tiergeschichten und die auf »K« und seinesgleichen gerichteten Geschichten von Maschinen und Apparaten, von Rechtsordnungen und Verwaltungen menschenfern. Kafkas Schreiben ist selbst, unter Schmerzen, von dem durchdrungen, was es beschreibt – optisch und akustisch, von Film, Telefon-, Schreib- und Rechenmaschinen. Wie konnte die Schreibarbeit des Prager Juristen und Unfallversicherungs-Angestellten aus jüdischer Familie zum Kontinent des ›Kafkaesken‹ werden, zur Zeichenfläche der modernen Welt schlechthin ? Seine Literatur war kein schönes Festland, kein Territorium, schon gar kein »Kontinent des Menschen«, den Benjamin mit Kafka in der Ferne verschwinden sieht. Dass keine Sinngebung und keine sogenannte Kommunikation ist in dem, was Kafkas Literatur wortwörtlich mitteilt, macht offenbar ihre Faszination aus. Es ist das total Gegenständliche seiner Prosa, an dem die Bedeutungen abgleiten, das Materiale, das die Aufmerksamkeit, die eigene und die des Lesers, ergreift und sofort praktisch werden lässt.
Die in den Mosse-Lectures und weiteren Veranstaltungen gehaltenen Berliner Kafka-Vorlesungen von 2005 bilanzieren die bewährten Forschungen und präsentieren neue Arbeitsweisen und Erkenntnismöglichkeiten zu seinen Schriften.
Der Band ist ausgestattet mit eigens dafür angefertigten Graphiken des türkischen Künstlers Ergin Inan. Seine Aufzeichnungen von Menschen, Leben, von Wissen und Erfahrung und sein Arbeiten mit Kalligraphie, Insekten und anatomischen Figuren bilden einen ganz eigenen Kafka-Kommentar.
Weitere Beiträge von: Walter H. Sokel, Elizabeth Boa, Gerhard Neumann, Detlef Kremer, Joseph Vogl, Klaus R. Scherpe, Benno Wagner, Elisabeth Wagner und Burkhardt Wolf