KORRUPTION Die öffentliche Meinung zur aktuellen Finanzkrise hat den Zweifel an der Kompetenz und der Integrität von Politikern, Managern und Verwaltungen an ihrer Selbstverpflichtung auf das Gemeinwohl verstärkt. Partikulare Interessen und Vorteilsnahmen werden fast täglich entdeckt und selbstverständlich moralisch verurteilt. Aber welche wirtschaftlichen, politischen, sozialen und persönlichen Machenschaften an der Grenze von Legitimität und Legalität setzen den Mechanismus von Korruption in Gang? Korruption schafft ein eigenes System von Abhängigkeiten (die Mafia), im unternehmerischen Bereich schafft sie Marktanteile und sichert Arbeitsplätze (der sog. Siemensskandal), im Sport sorgt sie für Höchstleistungen (Dopingaffären). Ist diese Dynamik von Korruption nicht nur ein Störfall der Gesellschaft, sondern ihr fester Bestandteil, »ein Streit der Gesellschaft mit sich selber« (Dirk Baecker)? Die Korruptionsbekämpfung wie die von Transparency International muss hier ansetzen.
Die Mosse-Lectures des Jahres 2010 widmen sich nach ihrem politökonomischen und kulturwissenschaftlichen Programm von 2009 („Finance and Fiction“) mit diesem Schwerpunkt einem weiteren interdisziplinären Projekt mit Beiträgen von Wirtschafts- und Politikwissenschaftlern, von Soziologen, Philosophen und Rechtswissenschaftlern aus dem In- und Ausland zu Fragen der spezifischen Kommunikation (oder Nicht-Kommunikation) von Korruption, zu ihrer institutionellen Organisation (oder Desorganisation), zu ihrer globalen Funktion und lokalen Integration, wenn man die Wirksamkeit von kulturell und sozial bedingten Abhängigkeitsverhältnissen bedenkt.
Stephan A. Jansen
Präsident der Zeppelin University, Professor für strategische Organisation & Finanzierung
Tabuisierung, Medialisierung und Moralisierung der Korruption
Donnerstag, 29.04.2010, 19 Uhr c.t., Senatssaal
Bürger wie Kunden zweifeln und verzweifeln an der Integrität von Politikern und Vorständen. Korruption ist eine prominente, d.h. medial laut inszenierte Vokabel, die überall betretenes Schweigen auslöst. Die Thematisierung der Korruption ist der Versuch der unsystematischen Erhellung des systematisch Dunklen. Der Versuch der Erhellung scheint paradoxerweise der Verdunklung zu nutzen. So können beispielsweise Personalisierungsversuche der systemischen Immunität dienen. Korruption basiert auf Inkommunikabilität einer Gesellschaft, die sich mit moralisierter Empörung im Streit mit sich selbst befindet.
Bei Korruption haben wir es also mit einem »unaufgeklärten Kapitalismus« zu tun, der sich der Forschung systematisch zu entziehen scheint – und zwar sowohl aufgrund der systemischen Tabuisierung im Vorgang und der ebenso systematischen Moralisierung der »halbseitigen Medialisierung« im Nachgang. Der Vortrag soll einige durchaus provokative Fragen der Korruptionsforschung beleuchten: Welche Auffälligkeiten in der Beobachtung von Korruptionsbeobachtung sind beobachtbar? Welche Formen – also Innen- und Außenseiten – der Korruption können bzw. müssen wir unterscheiden? Welche für die Gesellschaft nützlichen Erkenntnisse lassen sich aus einer »entmoralisierten« Forschungsperspektive gewinnen?
Prof. Dr. rer. pol. Stephan A. Jansen ist Gründungspräsident der Zeppelin Universität in Friedrichshafen – einer Stiftungsuniversität zwischen Wirtschaft, Kultur und Politik – und dort Professor für Strategische Or-ganisation & Finanzierung. Er ist Autor von 17 Büchern, darunter zahlreichen Publikationen zum Thema, u.a. Korruption – Unaufgeklärter Kapitalismus. Multidisziplinäre Perspektiven zu Funktionen und Folgen der Korruption. Hrsg. mit Birger P. Priddat. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Netzwerk-, Organisations- und Managementtheorie sowie der Bildungssystemanalyse. Er hat verschiedene politische Beratungsmandate inne, z.B. als Mitglied der Forschungsunion der Bundesregierung oder seit 2006 im persönlichen Beraterkreis des Bundesfinanzministers a.D. Steinbrück.
Susan Rose-Ackerman
Henry R. Luce Professor of Law and Political Science, Yale Law School
Corruption: Greed, Culture and the State
Donnerstag, 20.05.2010, 19 Uhr c.t., Senatssaal
Was als Korruption zu gelten hat, ist durchaus umstritten. Forschungen zum Begriff der Korruption rühren an grundsätzliche Fragen zum Verhältnis von Staat und Gesellschaft. Um dies zu erkennen, muss man nur die Ansichten der Marktliberalen den Einsichten von Anthropologen gegenüberstellen. Was dem einen als illegales Bestechungsgeld gilt, ist für den anderen eine Zuwendung, die geeignet ist, soziale Beziehungen zu festigen. Der Vortrag wird in einem ersten Schritt die wirtschaftsliberalen und die kulturanthropologischen Auffassungen von Korruption kontrastieren und kritisieren: auf der Ebene der betroffenen normalen Bürger und der kleinen Beamten. In einem zweiten Schritt werden diese Ansätze auf die Korruption „in großem Maßstab“ angewandt, in die das politische Führungspersonal und die multinationalen Unter-nehmen verwickelt sind. Zu zeigen ist ein Paradox: dass nämlich, wenn von Korruption im internationalen Maßstab die Rede ist, die wirtschaftsliberale Position sich gern auf die unver-meidlichen kulturellen Gegebenheiten beruft, während die Anthropologen die Motive von Macht und Gier als zwangsläufig ökonomisch darzustellen versuchen. Rose-Ackerman entwickelt von hieraus ihren Ansatz einer möglichen „demokratischen Legitimität“, mit dem zunächst betont wird, wie Korruption die Fähigkeiten, die Rechtlichkeit und die demokratische Legitimität des Staates durchdringt und unterwandert, gerade dann, wenn sie glauben macht, die Marktwirt-schaft zu fördern oder sich als kulturelle Praxis darstellt. Der Vortrag endet mit einigen Vor-schlägen zur Reform, die darauf abzielen, die demokratischen Regierungen und ihre Institutionen zu stärken.
Susan Rose-Ackerman ist Professorin für Recht und Politikwissenschaft und Ko-Direktorin des Zentrums für Recht, Ökonomie und Öffentliche Politik an der Law School der Yale University. Ihre Forschungs-schwerpunkte sind Korruption, Verwaltungsrecht, Umweltpolitik sowie Recht und Ökonomie.
Zahlreiche Publikationen; davon sind kürzlich erschienen: From Elections to Democracy: Building Accountable Government in Hungary and Poland (2005); Corruption and Government: Causes, Consequences and Reform (1999, in 15 Sprachen übersetzt). Sie ist Herausgeberin des International Handbook on the Economics of Corruption (2006), Economics of Administrative Law (2007), and Comparative Administrative Law (mit Peter Lindseth, 2010).
Johann Graf Lambsdorff
Professor für ökonomische Theorie, Universität Passau
Korruption – Ein mühsames Geschäft
Dienstag, 01.06.2010, 19 Uhr c.t., Senatssaal
Moral ist ein knappes Gut, zumeist zu knapp um hiermit die Korruption wirksam zu bekämpfen. Glücklicherweise ist Korruption aber ein mühsames Geschäft, ertragreich nur für den, der die Kunst der Bestechung beherrscht. Mehr als mögliche Strafen fürchten korrupte Akteure von ihren Partnern betrogen zu werden oder ihre Reputation der Verlässlichkeit zu verlieren. Erfolgreiche Korruptionsbekämpfung setzt hier an. Der Vortrag liefert hierzu empirische und experimentelle Evidenz und beschreibt beispielhafte Reformansätze.
Prof. Dr. Johann Graf Lambsdorff ist Inhaber des Lehrstuhls für Volkswirtschaftstheorie an der Universität Passau. Er ist der „Vater“ des Korruptionsindex, den er von 1995 bis 2008 für Transparency International erstellte. Er studierte Volkswirtschaftslehre, Mathematik und Soziologie in Frankfurt am Main und Göttingen. Er promovierte 1994 und wurde im Jahre 2000 habilitiert mit einer Arbeit zu dem Thema Corruption in Global Perspective – an Economic Investigation (Cambridge University Press). In Vorlesungen und Veröffentlichungen liefert er weltweit beachtete Ansatzpunkte zur Korruptionsbekämpfung. Er hat in führenden internationalen Zeitschriften zur monetären Ökonomik, Institutionenökonomik und der Ökonomik der Korruption veröffentlicht wie dem Journal of International Economics, Journal of Economic Psychology, Economics of Governance, Kyklos, Public Choice, Journal of Economic Behavior and Organization.
Günter Gebauer / Ines Geipel / Wolfgang Schild
Forum: Korruption im Sport
Donnerstag, 01.07.2010, 19 Uhr c.t., Senatssaal
Korruption wird wahrgenommen als eine „Störung“ des als „normal“ angenommenen Gemeinsinns. Die moralische Empörung ist groß, was aber zur Vereinfachung eines komplexen gesellschaftlichen Zusammenhangs führt. Nicht zuletzt in der Welt des Sports, wo von der „Korruptionswährung“ des Doping zwangsläufig die Rede ist bevor das Spiel beginnt. Die durch Professionalisierung und Kommerzialisierung selbstentfremdete Sportwelt – wie weit ist sie entfernt von dem, was der Surrealist Roger Caillois einst in seinem Buch „Die Spiele und die Menschen“ ausgedacht hat: vom rauschhaften Erlebnis ohne Zweck und Nutzen, mit eigenen Regeln bei ungewissem Ausgang? Das Doping ist nur ein Effekt im System einer organisierten Unverantwortlichkeit, das Heroen an Leistung und Ruhm hervorbringt und nur allzu oft körperlich und seelisch kranke Menschen hinterlässt. Wie kann gegen den von der Gesellschaft zu verantwortenden Missbrauch mit den Kontrollen und Selbstkontrollen der Zivilgesellschaft und mit strafrechtlichen Verfahren vorgegangen werden? Kann es eine Völkerverständigung über die zulässigen Praktiken des völkerverbindenden Sports geben? Peter Sloterdijk hat schon einmal gefragt, warum die chinesische Regierung „den Dalai Lama fürchtet, und warum sie nicht Ines Geipel fürchtet“.
Gunter Gebauer, Professor für Philosophie und Sportwissenschaft, FU Berlin, Arbeiten zur Sprachphilosophie, Ästhetik, Wissenschaftstheorie, Anthropologie des Körperverhältnisses. Veröffentlichungen u.a.: Sport, Eros, Tod (1986), Die andere Utopie der Moderne. Olympias Weg von der Religion zur Droge (1996), Poetik des Fußballs (2006), Wittgensteins anthropologisches Denken (2009).
Ines Geipel, Professorin an der Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin, ehemalige Leistungssportlerin der DDR, Autorin von Romanen, literarischen und politischen Dokumentationen. Inge Müller – Die Biographie (2002), Journal eines Doping-Prozesses (2001), Heimspiel. Roman (2005), No Limit. Wie viel Doping verträgt die Gesellschaft? (2008).
Wolfgang Schild, Professor für Strafrecht und Rechtsphilosophie, Universität Bielefeld, Arbeiten zur Rechtsstaatlichkeit, zur Rechtsgeschichte im Mittelalter und der Frühen Neuzeit (Hexenverfolgungen), Sportstrafrecht (2002), Leben in Mittelalter und Moderne (2003), Dimensionen der Schuldunfähigkeit (2009), Tatherrschaftslehre (2009), Folter, Pranger, Scheiterhaufen (im Erscheinen 2010).