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Die Mosse Familie

Rudolf Mosse war einer der erfolgreichen und innovativen Unternehmer jüdischer Herkunft, die seit der Gründerzeit der 1870er Jahre in der deutschen Reichshauptstadt wirkten. In dem aus einer Anzeigenexpedition hervorgegangenen Presseimperium des Mosse-Verlags, in den 1920er Jahren dem größten in Deutschland neben Ullstein und Scherl, erschienen 130 Zeitungen und Zeitschriften, darunter auch die »Allgemeine Zeitung des Judentums« und das »Berliner Tageblatt«, das unter der redaktionellen Leitung von Theodor Wolff vor allem in der Zeit der Weimarer Republik die demokratische Öffentlichkeit in Deutschland maßgeblich prägte. Der Verlagsgründer Rudolf Mosse und seine Frau Emilie engagierten sich als in zahlreichen sozialen und kulturellen Einrichtungen und gründeten unter anderem die Mosse Stiftung zum Wohle bedürftiger Kinder und verarmter Familien. Die Familie Mosse war der jüdischen Reformgemeinde in Berlin, die sie förderte und mitgestaltete, besonders verbunden. Das am Potsdamer Platz von 1881 bis 1885 gebaute Mosse Palais, wiedererrichtet 1998 von dem Architekten Hans Strauch, einem Nachfahr der Familie, beherbergte die renommierte Mosse Kunstsammlung. Das Verlagshaus in der Jerusalemer Straße / Schützenstraße war 1919 Schauplatz des Spartakusaufstands im Berliner Zeitungsviertel. Erich Mendelssohn, ein Freund der Familie, entwarf nach den Beschädigungen die neue Fassade des Gebäudes. Hans Lachmann-Mosse übernahm nach dem Tod von Rudolf Mosse im Jahre 1920 die Geschäftsleitung und führte auch dessen mäzenatische Aktivitäten weiter. 1933 wurde er wie die meisten anderen Familienmitglieder von den Nationalsozialisten ins Exil vertrieben während die Presseerzeugnisse des Mosse Verlags gleichgeschaltet wurden.

Zu den prominentesten Familienmitgliedern in der Zeit des Exils und der Emigration gehörten Hilde L. Mosse, die nach 1933 ihr Medizinstudium in Basel fortsetzte und 1938 nach New York emigrierte und Gerhard Mosse, der unter dem Namen George L. Mosse zu einem der bedeutendsten Historiker des Faschismus wurde.

Hilde Mosse arbeitete bis zu ihrem Tode im Jahr 1982 als Fachärztin für Kinderpsychologie und -psychiatrie in Harlem, wo sie die Lafargue Clinic mitbegründete, die erste Heilanstalt für psychisch Kranke an der Ostküste der Vereinigten Staaten. Roger Strauch, ein Nachfahr der Familie, setzt dieses Erbe mit der Förderung des Northside Center for Child Development fort. 1964/65 kehrte Hilde Mosse vorübergehend auf eine Fulbright Gastprofessur in Marburg nach Deutschland zurück. Ihr Handbuch zur Legasthenie wurde zu einem Standardwerk. Mehr über Hilde Mosse unter: mathcircle.berkeley.edu/ (Link in verkürzter Form) und http://www.rodagroup.com/hilde.html.

George L. Mosse, der nach einem Studium in Cambridge ebenfalls in die USA emigrierte und 1946 an der Harvard University promovierte, ist seit den 1960er Jahren als einer der wichtigsten Historiker des Nationalsozialismus und der Geschichte der Juden in Deutschland bekannt geworden. Er war Professor of European History und Jewish Studies an der University of Wisconsin in Madison, seit 1969 auch Richard Koebner Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem. In seiner Lehrtätigkeit und in seinen Forschungen als Historiker verkörperte er die liberal-demokratische Tradition der Familie und des früheren Verlagshauses auf besondere Weise. Gordon Craig hat 2001 an der Stanford University Georg Mosses Lebens- und Werkgeschichte auf den Begriff gebracht: die Suche nach einer deutsch-jüdischen Identität im Sinne von Aufklärung und klassischer Bildung, ein Konzept, an dem er festhielt, das aber schon vor 1933 durch den völkisch dominierten Nationalismus, die Diskriminierung der Juden und die nachfolgende Vertreibung und Vernichtung seine Orientierungskraft verloren hatte. Die meisten seiner wegweisenden Bücher zu diesem Thema wurden ins Deutsche übersetzt: „Ein Volk. Ein Reich. Ein Führer. Die völkischen Ursprünge des Nationalsozialismus« (1979), »Jüdische Intellektuelle in Deutschland« (1992), »Nationalismus und Sexualität« (1987). Seine »Geschichte des Rassismus in Europa« (1990) behandelt die rassistischen Stereotypen und antisemitischen Feindbilder, seine Monographie »Der nationalsozialsozialistische Alltag« (1993) die Massenpsychologie und Massenhysterie des gewöhnlichen Faschismus. Kurz nach seinem Tode im Jahr 1999 erschien seine Autobiographie unter dem Titel »Confronting History« (deutsch: »Aus großem Hause«, 2003), in der er im Rückblick Auskunft gibt über sein berufliches und privates Leben als Jude und Homosexueller. Mehr über George Mosse unter de.wikipedia.org/wiki/George_L._Mosse und mosseprogram.wisc.edu/