
Verschwörungstheorien haben Konjunktur in Zeiten der Verunsicherung, von bedrohlichen Veränderungen, lebensgeschichtlich und politisch, eklatant in Zeiten von Krisen und Katastrophen. In ihnen wird ein Bedürfnis wirksam, komplexe Zusammenhänge auf einfache Sinngebungen zu reduzieren. Eine psychotische und kollektive Dynamik wird in Gang gesetzt. Es entsteht die bedenkenlose und widerspruchsresistente Logik eines konspirativen Diskurses: ein mitunter phantasiereiches und faszinierendes Amalgam, ein Netzwerk aus Erfahrungsmomenten und Wissenselementen, aus Vermutungen und Verdächtigungen, aus Fakten und Fiktionen. Derart aufgerüstet erzeugen Verschwörungstheorien, motiviert durch ein Gefühl von tatsächlicher oder auch nur empfundener Benachteiligung oder Unterlegenheit, Ängste: vor einer angeblichen Bedrohung durch ein Reich des Bösen in Gestalt einer geheimbündlerischen Subversion oder einer jüdischen Weltverschwörung. Da Verschwörungstheorien ihr Identifikationspotenzial aus realen oder als real vorstellbaren Vorgängen und Ereignissen schöpfen, sind sie strategisch und methodisch beteiligt an unzähligen alltäglichen, sozialen und politischen Konflikten und Konfliktbewältigungen. In diesem Programm der Mosse-Lectures wollen wir die historische und gegenwärtige Wirkungsmacht von Verschwörungstheorien erkunden: in der historisierenden und aktualisierenden Literatur (bei Umberto Eco zum Beispiel), in einer Analyse und Kritik von verschwörungstheoretisch wirksamen Informationstechnologien und Medien, mit der Problematisierung konspirativer Strategien in der Politik (im postsowjetischen Russland zum Beispiel).
Referent*innen
Eva Horn | 29.04.2021
»Das Gespenst der Arcana. Eine sehr kurze Literaturgeschichte der Verschwörung«
Mit Stefan Willer
Eliot Borenstein | 27.05.2021
»Informing Ourselves to Death: Conspiracy and Fantasy in Postmodern Russia«
Mit Manfred Sapper
Didier Fassin | 10.06.2021
»Conspiracy Theories As Crises and Critique«
Mit Joseph Vogl
Clemens Setz | 17.06.2021
»Unified Bond Theory. Überlegungen zur Verschwörungsfähigkeit der eigenen Biografie«
Mit Lothar Müller