Das existentielle Erlebnis, dass es so nicht weitergehen kann, wird seit dem Damaskus-Erlebnis des Paulus als individuelle und spirituelle Einkehr erzählt, als Evidenzerlebnis, aber auch als kulturelle und politische Wandlung, als transzendentale Erfahrung des Ausbruchs und Aufbruchs. Die Radikalität der Veränderung, individuell oder kollektiv, ist grundlegend für die symbolischen Praktiken und rhetorischen Strategien der Konversionserzählung der Religionen, der politischen Philosophie und der Literatur. Zwangskonversionen wie die der conversos, der Juden zur Zeit der spanischen Reconquista, wurden in der historischen Überlieferung zu Warnzeichen und Schreckbildern. Sie finden ihren Nachhall in der Neuzeit, wenn es in Kriegs- und Krisenzeiten zu religiös, rassistisch und politisch motivierten Vertreibungen und Vernichtungen von Minderheiten kommt. Die zivilisatorischen Schädigungen der westlichen Welt motivieren zu radikalen Selbst- und Fremderfahrungen, zu Konversionen. Zu diskutieren ist, ob und wie in unserem eher unheroischen Alltag der faktischen Konvertibilität von Daten und Währungen, von Sprachen und Identitäten der radikale Appell- und Bekenntnischarakter der Konversion noch zur Geltung kommt. In der Zone des Übergangs, der des becoming otherwise, erscheinen auch die ›klassischen‹ Blitzkonversionen als vielfältiger Wandlungsprozess, so z.B. in der Umbesetzung von religiösen Symbolen, Emblemen und Riten in säkulare Formen. In den Autobiographisierungen der Konversion finden sich stets Spuren der Herkunftskultur, die in den Text der neuen und anderen Lebenswelt eingehen. In den Mosse-Lectures werden historische Konversionserzählungen von Maimonides bis Heinrich Heine und Alfred Döblin ebenso zur Sprache kommen wie die lebensgeschichtlichen Entwürfe, die in der Religionsgeschichte und der Politik verhandelt werden.
Sarah Stroumsa
(Hebrew University, Jerusalem)
»Passages: Between Acculturation and Conversion in Islamic Spain«
Mittwoch, 06.05.2015, 19 Uhr c.t., Unter den Linden 6, Senatssaal
Das Hochmittelalter im islamischen Spanien (al-Andalus) wird oft als ein Goldenes Zeitalter beschrieben, in dem Juden, Christen und Muslime harmonisch zusammen lebten. Die für diese Zeit nachgewiesene Dynamik der Konversionen zum Islam allerdings stört diese idyllisch fixierte Vorstellung. Es zeigt sich, welchem religiösen und sozialen Druck die religiösen Minderheiten ausgesetzt waren. Wenn wir uns die unterschiedlichen Reaktionen der jüdischen und christlichen Gemeinden in der Zeit des al-Andalus vergegenwärtigen, so können wir besser verstehen, was eine Konversion in der mittelalterlichen islamischen Welt bedeutete. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich, dass es für die religiösen Minderheiten zwischen Assimilation und religiösem Zwang durchaus mehrere Möglichkeiten gab, sich zu entscheiden. Der Begriff »Konversion« erweist sich als mehrdeutig und facettenreicher als gemeinhin angenommen.
Sarah Stroumsa ist emeritierte Professorin des Alice and Jack Ormut Lehrstuhls für arabische Studien an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Sie hat in den Abteilungen für arabische Sprachen und jüdisches Denken unterrichtet und war von 2008 bis 2012 Rektorin der Universität. Ihre zentralen Arbeitsgebiete sind die Philosophie und Religionsgeschichte des frühen arabischen Mittelalters, ebenso die mittelalterliche jüdisch-arabische Literatur und die Ideengeschichte von Juden und Muslimen im islamischen Spanien. Sie ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, 2010 erhielt sie den Forschungspreis der Alexander von Humboldt Stiftung. Von ihren zahlreichen Schriften sind auf Englisch erschienen: Freethinkers of Medieval Islam (1999) und Maimonides in His World (2010).
Stephen Greenblatt
(Harvard University)
»Augustine in the Garden«
Montag, 18.05.2015, 19 Uhr c.t., Unter den Linden 6, Senatssaal
Der Vortrag beschäftigt sich mit zwei bekannten Erzählungen der Konversion. Die erste, die ich aufrufen möchte, ist die hochberühmte Konversion des Augustinus, die sich im Jahre 386 ereignete, eine Geschichte seiner Rettung und Erlösung. Eine andere ist natürlich die Konversionserzählung von Adam und Eva, zu datieren auf das Jahr 1, eine Geschichte, die mit ihrem Tode enden sollte: der Sterblichkeit der gesamten Menschheit. Selbstverständlich sind diese beiden Konversionserzählungen eng miteinander verbunden. Denn ohne die Konversion unserer Ureltern von Unschuld zu Schuld hätte es niemals einen Anlass für die Konversion des Augustinus aus der Sünde zum Seelenheil gegeben. Zu entdecken ist der Zusammenhang dieser beiden Erzählungen, dem Augustinus in seinem unvollendeten Kommentar »Über den Wortlaut der Genesis« nachsinnt.
Stephen Greenblatt ist Professor of Humanities am Department of English der Harvard University, Mitglied zahlreicher Akademien in den USA und Permanent Fellow am Wissenschaftskolleg zu Berlin; National Book Award (2011), Pulitzer Preis 2012 für The Swerve. How the World Became Modern (dt. Die Wende – Wie die Renaissance begann, 2012). Neuere Veröffentlichungen u.a.: Hamlet in Purgatory (2001, dt. 2008), Will in the World. How Shakespeare became Shakespeare (2005, dt. 2006), Cultural Mobility (2010), Shakespeare’s Freedom (2010).
Gregor Dotzauer vom Tagesspiegel zur Mosse-Lecture von Stephen Greenblatt:
Stefan Weidner und Christoph Peters
(Beirut und Berlin)
»Hin und weg. Wie und warum bekehren sich Europäer zum Islam«
Donnerstag, 28.05.2015, 19 Uhr c.t., Unter den Linden 6, Senatssaal
Eine der spannendsten intellektuellen Biographien des zwanzigsten Jahrhunderts erschließt sich in ihrer ganzen Bedeutung erst angesichts der Kulturkämpfe der Gegenwart: Leopold Weiss alias Mohammed Asad, aus einer Familie Galizischer Rabbiner stammend, wandelte sich vom anti-zionistischen Journalisten zum ersten modernen Salafisten und schließlich zum Vordenker einer Vereinbarkeit von Scharia und Demokratie. Ausgehend von Asads Werdegang und Schriften entdeckt Stefan Weidner in den verhärteten Fronten unserer Islamdebatten einige nie gehörte Argumente.
Von großen Teilen der Öffentlichkeit im Westen wird der Islam gegenwärtig mit Irrationalismus und exzessiver Gewalt gleichgesetzt. In den meisten Fällen ist das Erstarken religiös verbrämter Terrorgruppen jedoch vor allem Symptom für die umfassende politische Krise im Nahen und mittleren Osten und keineswegs eine Rückkehr zur ursprünglichen Gestalt dieser Religion. Christoph Peters versucht mit einem anderen Blick auf die islamischen Quellen zu zeigen, dass der Islam gerade auch für Menschen im Westen, die auf der Suche nach Gott und einer im Alltag verankerten Spiritualität sind, interessante Alternativen bereithält.
Stefan Weidner lebt als freier Autor und Übersetzer in Köln, seit 2001 Chefredakteur der vom Goethe-Institut für den Dialog mit der islamischen Welt herausgegebenen Kulturzeitschrift Fikrun wa Fann / Art & Thought, die auf Arabisch, Englisch und Persisch erscheint; Übersetzungen aus dem Arabischen (Die Farbe der Ferne. Moderne arabische Lyrik, 2000); Essays und Literaturkritik (gesammelt in: Erlesener Orient, 2004) mit dem Schwerpunkt islamische Welt. Der »erzählte Essay« Mohammedanische Versuchungen wurde mit dem Clemens-Brentano-Preis ausgezeichnet, Paul Scheerbart-Preis (2014); Arbeit an einer neuen Koran-Übersetzung; weitere Publikationen: Fes. Sieben Umkreisungen (2006), Manual für den Kampf der Kulturen. Warum der Islam eine Herausforderung ist (2009); Aufbruch in die Vernunft. Islamdebatten und islamische Welt (2011).
Christoph Peters, Malerei-Ausbildung an der Akademie der bildenden Künste in Karlsruhe, 1993 als Meisterschüler. Seit 2000 freier Schriftsteller und Zeichner in Berlin, zahlreiche Auszeichnungen u.a. mit dem aspekte-Literaturpreis und dem Düsseldorfer Literaturpreis; Poetik-Dozenturen an den Universitäten in Mainz (2004), Tübingen (zusammen mit Kiran Nagarkar, 2008, publiziert unter dem Titel Traumbilder des Schreibens) und Paderborn (2014); Autor zahlreicher Romane, Erzählungsbände und Essays, u.a. Stadt Land Fluß (1999), Das Tuch aus Nacht (2003), Ein Zimmer im Haus des Krieges (2006), Sven Hofestedt sucht Geld für Erleuchtung. Geschichten (2010), Wir in Kahlenbeck (2012); 2014 ist der Roman Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln erschienen.
Klaus Briegleb
(Hamburg)
»›Ihr Toren, die ihr im Koffer sucht!‹ Zu Heinrich Heines Marranentum«
Donnerstag, 18.06.2015, 19 Uhr c.t., Hörsaal 1.101, Dorotheenstr. 24 (Zugang: Hegelplatz), 1. Stock
»Marranen« heißen zunächst (zwangs)getaufte sephardische Juden, die insgeheim an ihrem Ursprung festzuhalten versuchten. Einlässliche Forschungen zu historischen Quellen und zur Deutung eines entfalteten »Marranentums« sind noch jung. Im Eintrag »Marranos« des Jahrbuchs Jüdische Kulturgeschichte heißt es in der Perspektive »Selbstverwirklichung durch Geheim-haltung«: »Die Bezeichnung Marrane hat sich in der Moderne zu einem Identitätsbegriff entwickelt (…). Zu Bewußtsein und Stolz auf die jüdischen Wurzeln kommt das Wissen um eine Leidens- und Verfolgungsgeschichte, die ihre Kulmination in der Shoa findet.«
Diese Einsicht ist auch in meinen Arbeiten zu Heinrich Heine erprobt, an die der Vortrag anknüpft. Noch einmal leitet mich dabei der Impuls, auf dieses Dichters − in ›marranischer Schreibweise‹ vorgetragene − Sorge um die Juden in Europa aufmerksam zu machen, worin ihm Fritz Heymann, Marranen- und Heineforscher (gestorben am 30. September 1944 in Auschwitz) bis zuletzt gefolgt ist. Seinem Gedenken ist mein Versuch gewidmet.
Klaus Briegleb ist Literaturwissenschaftler, Professor em. der Universität Hamburg, Herausgeber der Sämtlichen Schriften Heinrich Heines. Weitere Publikationen zu Heine: Opfer Heine? Versuche über Schriftzüge der Revolution (1986); Bei den Wassern Babels. Heinrich Heine, jüdischer Schriftsteller in der Moderne (1997und 2005). Das Jerusalemer Heine-Symposion. Gedächtnis, Mythos, Modernität, hg. zusammen mit Itta Shedletzky (2001). Weitere Publikationen u.a. zu Friedrich Schlegels Poetik, Lessings Frühschriften und zur Nachkriegsliteratur, darunter: Missachtung und Tabu. Eine Streitschrift über die Frage: Wie antisemitisch war die Gruppe 47? (Berlin 2003).
Hans Joas
(Humboldt Universität, University of Chicago)
»Ein Christ durch Krieg und Revolution. Alfred Döblins Erzählwerk November 1918«
Donnerstag, 25.06.2015, 19 Uhr c.t., Unter den Linden 6, Senatssaal
Im Exil schrieb Alfred Döblin sein mehrbändiges Erzählwerk „November 1918“. In größter Intensität und zeitlicher Konzentration, aber mit einer Vielfalt von Personen und Perspektiven werden darin Erster Weltkrieg und Revolution (vornehmlich in Berlin) zum Thema. Wenn in diesem Vortrag »November 1918« als Buch der Konversionen gedeutet wird, soll die persönliche religiöse Biographie des Autors aber durchaus im Hintergrund bleiben. Wichtiger sind die Konversionsgeschichten im Werk selbst: die eines kriegstraumatisierten Berliner Gymnasial-lehrers, aber auch die von Rosa Luxemburg zur Einsicht in die Unmöglichkeit, durch Gewalt ein irdisches Paradies zu verwirklichen. Der Krieg wird in seinen persönlichkeitsverändernden Wirkungen ebenso erkennbar wie der im Mythos der Revolution steckende Traum von einer neuen Welt. Döblin fragt, wie einer unter diesen geschichtlichen Umständen zum Christen werden kann und wie sich Christen zu diesen Ereignissen hätten stellen müssen.
Hans Joas ist Soziologe und Sozialphilosoph, Ernst-Troeltsch-Honorarprofessor an der Theologischen Fakultät der HU und Professor an der University of Chicago; Fellow am FRIAS (2011-14) und Leiter des Max-Weber-Kollegs in Erfurt (2002-11); Ehrendoktorate in Tübingen und Uppsala; ausgezeichnet mit dem Niklas-Luhmann-Preis und dem Hans-Kilian-Preis. Neuere Buchpublikationen: Die Sakralität der Person. Eine neue Genealogie der Menschenrechte (2011), Glaube als Option. Zukunftsmöglichkeiten des Christentums (2012), Was ist die Achsenzeit? (2014), Die lange Nacht der Trauer. Erzählen als Weg aus der Gewalt? (2015) und Sind die Menschenrechte westlich? (2015).