Mosse-Lecture von Mike Savage am 09.01.2020 im Senatssaal der Humboldt-Universitaet zu Berlin. Moderation und Diskussion Patrick Eiden-Offe.(hier im Bild)
Der moderne bürokratische Staatsapparat hat, so notierte Max Weber zu Beginn des 20. Jahrhunderts, »durch seine innere durchrationalisierte Struktur […] an die Stelle der ›Revolutionen‹ die ›Staatsstreiche‹ gesetzt«. Dieser Befund hat an Aktualität nichts verloren. Mehr noch erleben wir gegenwärtig eine weitere folgenreiche Verschiebung. An die Stelle des klassischen Putsches tritt in Europa wie in den Vereinigten Staaten die sukzessive Transformation der Verfassung in Form ihrer Aushöhlung von innen, die von gewählten Regierungen betriebene dynamische Erosion des Rechtsstaats und der Gewaltenteilung insgesamt. »Der demokratische Rückschritt beginnt heute an der Wahlurne«, schreiben Steven Levitsky und Daniel Ziblatt in ›How Democracies Die‹ [2018]. Zugleich gibt es, etwa in Westafrika, aktuelle Varianten von Militärputschen. Die Mosse Lectures wollen die Formen des Staatsstreichs historisch-systematisch beleuchten und nach den kulturellen Machtverschiebungen fragen, die mit ihm einhergehen. Welche Bedeutung kommt dem Staatsstreich in Zeiten einer allgemeinen »Wiederkehr des Autoritären« und einer Rekultivierung von Männlichkeit zu? Welche Rolle spielt der Aufstieg der Tech-Elite für die Schwächung demokratischer Institutionen? Welche neuen Perspektiven kann ein postkolonialer Blick auf Staatsstreiche eröffnen? Und lässt sich die Aushebelung von Demokratien durch die Identifizierung und Sichtbarmachung von Mustern rechtzeitig eindämmen? Die Mosse Lectures stellen diese Fragen mit Blick auf Europa, die Vereinigten Staaten, Westafrika und Südamerika.
Das komplexe Spiel mit der Sichtbarkeit des Politischen kann Teil der Performanz von Staatsstreichen sein, die als Inszenierungen der Machteroberung eine ganz eigene Form der Theatralität aufweisen. Vom Putsch vor laufender Kamera bis hin zur Indienstnahme der sozialen Medien für Angriffe auf die Gewaltenteilung: Autokratische Machtübernahmen gleichen nicht selten einem politischen Schauspiel. Es ist nicht verwunderlich, dass sie so oft erzählt und verfilmt wurden. Ergänzt werden die Mosse Lectures in diesem Semester durch ein Begleitprogramm zu Staatsstreichen im Film, das in Kooperation mit dem Zeughauskino am Deutschen Historischen Museum in Berlin an fünf Abenden im Januar und Februar 2026 zu sehen sein wird.
HINWEIS: Die Mosse Lectures finden im Senatssaal der Humboldt-Universität [Unter den Linden 6] statt. Der Raum ist barrierefrei zugänglich.